Segeln im Ijsselmeer – Ein Auf und Ab

Im friesländischen Lemmer am IJsselmeer (52° 51′N, 5° 42′ O) finden sich 11 Seglerfreundinnen und –freunde des Gütersloher Turnvereins ein, um die diesjährige Segelsaison zu eröffnen. Nach der Anreise am Freitagnachmittag wurde das Wochenende mit einem gemeinsamen Grillen, bei zwischenzeitlich leichtem Regen, eröffnet. Pünktlich zum Samstagsfrühstück treffen schließlich auch die letzten Crewmitglieder ein und komplettieren die Runde. Im Gepäck Regen und Wind der Stärke 5-6. Auch wenn das Wetter keine Anstalten auf Besserung zu machen scheint, kommen die beiden Skipper zusammen, um die Tagesroute zu planen. Obwohl eigentlich der Weg das Ziel ist, einigt man sich schnell auf den weiter südlich gelegenen Zielhafen Lelystad, der einen Nachbau der 1629 erstmals ausgelaufenen Batavia – ein Segelschiff der Niederländischen Ostindien-Kompanie – beheimatet.

Die Skipper geben eine kurze Einweisung in die Eigenheiten der beiden Bavaria und die beiden Crews machen sich bereit zum Ablegen. Angeführt von der CarpeDiem läuft bald darauf auch die Starship aus dem Hafen von Lemmer aus und setzt Kurs Richtung Lelystad. Bereits kurz hinter dem Hafen schlagen die Wellen an der Bordwand hoch und spritzen Gischt ins Boot . Um ein Gefühl für das Boot unter diesen Bedingungen zu bekommen, lässt der Skipper selbst die unerfahrenen Crewmitglieder ans Steuer, zunächst noch ohne Segel. Diese werden erst nach den ersten drei Seemeilen gesetzt und dann auch nur zu 1/3 der vollen Segelfläche. Der Wind lässt mit 20-25 Knoten nicht mehr zu. Trotzdem werden konstant 6-7 Knoten an Fahrtgeschwindigkeit erreicht, mit denen auf Amwindkurs Richtung Süden gekreuzt wird.

Eine kurze Nacht, das ein oder andere Bier am Vorabend und der starke Wellengang fordern bei nicht wenigen Crewmitgliedern schnell ihren Tribut. Daher wird die Idee der Skipper einen kurzen Zwischenstopp in der Hafenstadt Urk einzulegen und kurzzeitig festen Boden unter den Füßen zu haben, dankbar angenommen. Bereits nach den ersten Schritten an Land finden alle ihr Lächeln für das erste Gruppenfoto vor der Urker Hafenkulisse wieder. Die Stimmung steigt weiter als nach einem kurzen Hafenspaziergang das „Grande Het Haventje van Urk Café“ angesteuert wird, das mit Kaffee und Apfelkuchen mit viel Sahne verzückt. Die allgemeine Stammkundschaft des Cafés lässt sich sogar dazu hinreißen uns mit „engelsgleichen“ Stimmen den holländischen Schlager näherzubringen.

Um 16 Uhr geht es schließlich weiter mit der windreichen Fahrt. Der Zwischenstopp in Urk war ein echter Segen. Auf der zweiten Etappe sind die Wellen und der Wind nur minder schwächer, aber dennoch sind die Magenprobleme vollständig verschwunden. Mit leichter Verzögerung stellt sich daher nun die volle Freude am Segeln ein und der Name der CarpeDiem wird zum Programm. Dass die Crews wieder vollständig fit sind ist auch gut so, denn der Wind lässt einen einfachen Kurs zur Anfahrt auf Lelystad nicht zu und so heißt es noch mehrmals „Bereit machen zur Wende“. Gegen Ende des Törns zeigt dann auch der Jüngste seine Qualitäten als zukünftigen Skipper und lässt die ältere Generation ordentlich arbeiten und treibt sie zur Perfektion des Wendemanövers. Doch auch jeder Segeltörn geht mal zu Ende und kurz vor der Schleuse zum Hafen von Lelystad werden die Segel eingeholt und der Motor wieder angeworfen. Das Schleusen wird noch einmal zum Erlebnis als ein Frachtschiff sich dazugesellt und mit seinen Bugstrahlern näher kommt als gewünscht. Das Boot und die Mannschaft werden ein letztes Mal für diesen Tag durchgeschüttelt und dann öffnen sich auch schon die Schleusentore. Angekommen im Hafen von Lelystad thront die Batavia auf ihrem Platz und lässt mit ihrer Baukunst das Seglerherz höher schlagen.

Die Leinen werden im Hafen festgemacht und beide Mannschaften kehren im „De Rede van Bataviahaven“ ein. Bei Heineken und gutem Essen tauschen sich die Crews über ihre Erfahrungen des Tages aus und ziehen ein erstes Fazit: Feuertaufe für diese Saison überstanden.

Der Rest des Abends wird an Deck der CarpeDiem mit Snacks und mehr Heineken fortgesetzt. Selbstlos stehen die Nachteulen für diejenigen Crewmitglieder ein, die sich frühzeitig in ihren Kojen verzogen haben, um die mitgebrachten Vorräte zu verzehren. Segler sind einfach ein hilfsbereites Volk. Schnell reicht der Deckstisch der CarpeDiem für die leeren Heineken nicht mehr aus und so werden die restlichen leeren Dosen auf der Starship „fachmännisch“ untergebracht. Ganz zum Leidwesen der dort schlafenden, die durch das Scheppern der Dosen im Wind geweckt werden. Böse Zungen würden behaupten, dass das Strategie der CarpeDiem Crew gewesen sei, um die Crew der Starship zu schwächen und das Ziel am nächsten Tag als erstes Boot zu erreichen. Gegen 02:30 kehrt dann langsam Ruhe ein und es wird Kraft für die Rückfahrt am nächsten Morgen getankt.

Der Sonntag startet mit dem verzweifelten Versuch Brot oder Brötchen in Lelystad aufzutreiben und endet mangels Alternativen im kulinarischen Highlight des Wochenendes: Schoko- und Rosinenbrötchen belegt mit Wurst, Käse und Co., Frühstück für echte Segler. Nachdem sich alle den Schlaf aus dem Gesicht gewaschen haben (den Sprung ins Hafenbecken wagt leider niemand) heißt es wieder Leinen los. Dieses Mal angeführt von der Starship. Es wird zusammen geschleust und kaum heraus werden die Segel gesetzt. Der Formationsflug beider Boote scheint auch dieses Mal nicht klappen zu wollen und so segelt die CarpeDiem bei Wind aus Westen auf Halbwindkurs einsam Richtung Ausgangshafen Lemmer zu. Der leicht schwächere Wind im Vergleich zum Vortag lässt zu, dass sowohl Großsegel als auch Fock voll ausgeholt werden können. Die Segel perfekt eingestellt werden auf diese Weise bis zu 8 Knoten Fahrt gemacht, Höchstwert an diesem Wochenende. Auch heute darf jeder mal das Steuer übernehmen und Erfahrungen für kommende Törns sammeln. Guter Segelwind und mäßigere Wellen (die Boote und Crews dennoch ordentlich durchgeschüttelt haben) bescheren alles in allem einen schönen Tag zum Segeln. Einziger Wermutstropfen: auch heute kommt die Sonne nur für wenige Augenblicke zum Vorschein.

Die knappen 25 Seemeilen bis Lemmer werden zügig zurückgelegt und so bleibt vor dem endgültigen Einlaufen im Hafen noch Zeit für einen Abstecher durch die Wasserstraßen von Lemmer. Vor den Schleusentoren zum Groote Brekken sammeln sich beide Teams, um den letzten Abschnitt der Reise gemeinsam antreten zu können. Einige andere Segelschiffe gesellen sich dazu und so fährt ein ganzer Tross an Schiffen durch die Schleuse und Richtung Wasserstraßen.

Allein diese sind schon eine Reise wert. Boot an Boot, angefangen bei kleinen Schlauchbooten über stattliche Segelschiffe bis hinzu pompösen Yachten und wuchtigen Plattbodenschiffen, reihen sich in den „Hintergärten“ der Bewohner Lemmers aneinander. Die erste Hebebrücke passierend fahren wir durch die typisch-holländisch kunterbunte und sehr schöne Altstadt Lemmers. Dabei fahren wir teilweise so dicht an den Kanalwänden vorbei, dass man nur die Arme ausstrecken müsste, um den Restaurantbesuchern ihr Essen vom Teller klauen zu können.

Ein nettes Augenzwinkern der Hebebrückenbetreiber ist, dass die Passiergebühren stilecht mit einem an einer Angel befestigten Klomp eingefordert werden.

Doch jede Reise findet einmal ihr Ende. Und so müssen die Skipper vor staunendem Publikum ein letztes Mal ihr Geschick unter Beweis stellen, um die Boote in den engen Wasserstraßen durch die letzte und mit Abstand kleinste Schleuse zu manövrieren. Nun ist der Hafen nur noch wenige Augenblicke entfernt und die Boote können wieder in ihren Boxen festgemacht werden. Der Adrenalinspiegel schießt bei allen Beteiligten noch einmal deutlich in die Höhe als der Hafenmeister eines der Boote unbedingt selber in die Box fahren möchte und dabei mit großer Geschwindigkeit beinahe einen Steg rammt. Doch auch das ändert nichts mehr daran, dass 11 Seglerfreundinnen und- freunde trotz aller Strapazen auf ein schönes Segelwochenende im Ijsselmeer zurückblicken können und sich schon wieder für den nächsten Törn verabreden.

 

Ansgar Bokel